eine Dame, ihr Fahrrad, und meine Neugier

Vor 4 Wochen kam eine ältere Dame in die Werkstatt, sagte daß sie mir ihr altes Fahrrad vermachten möchte, zum Ausschlachten damit vielleicht noch ein Paar Teile weiter benützt werden könnten. Nun bei solchen Fall denke ich normalerweise an eine verrosteten Kellerleiche. Sie sagte aber, es wurde immer gut gepflegt und gewartet, und zeigt mir noch die Originalrechnung von 1956, ein Victoria-Damenrad, etwa DM170,-, gekauft in Hamburg. Das könnte etwa Monatslohn von damals entsprechen. Wer solche Rechnung feinsäuberlich aufbewahrt, pflegt auch die gekaufte Teile. Nach kurzem Gespräch bin ich sicher daß es sich nicht um eine Kellerleiche handelt. Sie wirkt patent, und erzählt auch, daß sie eine Freundin der alternativen Kultur sei, und deswegen zu mir Gewerbehof/Radlerhalle kam. Sie weckt mein Interesse. Ich verspreche ihr, vorbeizukommen um das Rad abzuholen.

Sie wartet bereits an ihrer Haustür. Wir gehen ins Keller. Dort steht ihr Fahrrad, sehr gepflegt. Ein Victoria Damenrad, 63 Jahre alt. Das Rad beflügelt meine Fantasie, aber mehr noch die Art der Dame, Frau B. Ich schätze sie zuerst so um 75. Sie ist aber 85, nicht nur patent, hat eigene Antwort über die aktuellen Belange und lebt so recht bewußt. Sie habe mit diesem Rad viele Touren gemacht. „Aber solch altes Rad fährt man heute nicht mehr“ Nein nein meine Dame, in diesem Punkt liegen Sie nicht ganz. Ich sage ihr, daß ich es nicht ausschlachten sondern restaurieren werde, und bringe es zur Werkstatt.
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Victoria war ein Nürnberger Fahrrad-/Motorradfabrik, gegründet 1886. Erste Produkte waren Hochrad und Sicherheitsrad. Später, 1958, als die Nachfrage an Fahrrad schlumpfte, ging Victoria mit anderen Fahrradwerke auf Zweirad Union AG über. Marke Voctoria lebt bis 1966 weiter, bis Zweirad Union von Hercules übernommen wurde.
Neuzeitlich sicherte die Fa. Hartje das Namensrecht und produziert heute unter Victoria E-Bikes.
Damen 1899Victoria-Fahrrad-Werke 1900vicotria nuernbergmoped

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Da das Rad in einem recht guten Zustand befindet, mußte nicht viel gemacht werden. Techinisch ist das Rad gut in Schuß. Nur einige Teile habe ich ausgetauscht, um es in den originalähnlichen Zustand zu verwandeln. in 63 Jahren wurden einige Teile ausgetauscht. Zuerst fällt den schwarzen Kettenschutzer aus Kunststoff auf. Das sollte weg. Zum Glücl gibt es noch Neuteil von Fa. Horn als gepresstem Alu. Hochbauender Lenker wurd on den 70ern eingebaut, um die Sotzposition etwas komfortabler zu machen. Aber er passt gut zu diesem Rad so daß ich ihn beibehielt. Nur Griffe habe ich ausgetauscht. Was dran war, waren sicher aus den 60er/70er jahre. Rücklicht war auch aus den 70er/80er. Ein Sammlerfreund schenkte mir eine Lampe aus dem 50ern. Was mich noch mehr störte, war die Lichtverkabelung, die aussen am Rahmen lief und mit Klebeband festgemacht war. Der Rahmen hat, am Oberrohr ganz oben und an der linken Kettenstrebe gleich hinter Tretlager, Anschluß zur Innenverlegung. Ich dachte, sie wäre nicht mehr funktionstüchtig und deshalb hat man den Kabel nach aussen verlegt. Nach dem Polieren von Metallteilchen funktioniert es aber wieder. So verschwand der Lichtkabel zum großten teil. Zum Rücklicht läuft der Kabel in der gefalteten Innenkante des Schutzblechs, wie damals ganz normal. Dynamo hat einen neuen Rollgrummi bekommen damit er besser läuft. Scheinwerfer,wahrscheinlich aus den 60ern(vielleicht sogar anfangs 70ern), beließ ich. 50er-Scheinwerfer wäre runder vorne. Und dieses Rocknetz ist aus heutiger Produktion(weiss nicht woher). Es ist etwas dicker als früheren, aber die farbe passt ganz gut. Überhaupt, daß solches Rocknetz noch hergestellt wird, finde ich gut. Nun sieht das Fahrrad wie damals, als es gekauft wurde? Das weiss ich nicht. Das ist auch nicht meine Absicht. Rocknetz war damals schon optional, denke ich. Und es fehlt auch Windschneidemarkenzeichen. Ob es immer vorhanden war, weiss ich auch nicht. Es ist keine Bohrung dafür vorhanden. Es könnte auch optional gewesen sein. Lack auf dem Rahmen habe ich nur geputzt, aber nicht poliert. Die Zeit. die das Rad erlebt hat, soll da haften bleiben.
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Ich habe das Rad umgebaut, nicht um der Dame gefallen zu tun. Aus eigener Neigier fantasiere ich, wie sie früher gelebt hat, und welche Touren sie gemacht hat. Es ist eine kleine Zeitmaschine, zurück auf die 50er Jahre. So ist das Ganze ein Märchen für mich. Die Dame aber interessiert sich sicher viel mehr dafür, wie das Rad sinnvoll weiterleben wird, und jemanden Freude machen kann.