Eine Dame knapp über 70, in einer Stadt hügeliger Landschaft, möchte für Einkaufsfahrten und kleine Touren ein Fahrrad. Aus diesem Wunsch ergibt sich ein leichtes und leichtgängiges Fahrrad, unkompliziert und elegant. Leichter Auf-/Ausstieg, gutes Licht, Befestigung für Seitentaschen wie Ortlieb plus Korb. Das könnte eine Universalanforderung für eine praktische Damenrad sein, was nicht ausgesprochen sportlich sein muß. Rest wird Geschmackssache. Häßlich will es niemand.
Diese Dame ist ca. 170cm groß, ca. 60kg leicht. 650B wäre denkbar, aber aus dem Grund der Verfügbarkeit von Reifen wie Felgen nehme ich 700C.
Gut beherrschbares, aber ausreichend direktes Lenkverhalten wird von großer Bedeutung sein. Dafür Steuerrohrwinkel, Offset(Versatz) und Trail(Nachlauf) sorgfältig balancieren. Radstand darf nicht zu kurz werden, Vorderradmitte-Tretlagermitte sollte Freiheit für die Schuhspitzen ganrantieren, 630mm, um das große Einschlagen des Lenkers/Vorderrades zu erlauben. Tretlagermitte-Hinterradmitte kann normaler Maß sein, diesmal 435mm, incl. Raum für Aufnahmeplatte des Pletcher-Standes.
Vorn 36Z(Sugino), hinten 13-34Z(9-fach Shimano, Schaltwerk Microshift), damit kann man ohne Anstrengung Steigungen überwinden, kann man auf Flachland flott genug sein. Kurbel ist 167,5mm. Tretlagerabsenkung wird etwas groß einkalkuliert, um ein gutmütiges Treten zu ermöglichen.
Rohrsatz ist ein Mix von Kaisei 022 und 019, um die Steifigkeit zu sichern und trotzdem leicht zu bleiben. Verbindungsblech zwischen Ober- und Unterrohr ist notwendig, um die unerwunschte Verformung des Rahmens in senkrechter Richtung zu underdrücken. Schwingende Form von Kettenstreben soll den Bodenstoß dämpfen, soll aber mehr formal an britischen Fahrräder erinnern. Insgesamt ist die Rahmenarbeit der britischen Tradition angelehnt. Grundsätzlich wurde Fillet Blazing angewendet, was die Briten bereits in den 40er/50er Jahren verwendet haben. Wo Muffen sein sollen, eher aus dekorativer Sicht, wurden Laminate(1mm dicke ChroMo-Stahlblech) handgeschnitten und angelötet. Auch Gabelkrone wurde mit Laminate ergänzt. Zweifarbenlackierung mit Creme und lebendigem Blaumetallic samt roter Beschriftung/Linierung entspricht dem deutschen Geschmack von heute vielleicht nicht. Es ist aber ein Beispiel, daß ein Fahrrad auch bunt, schön und fröhlich sein kann. Übrigens stammt die Lackierarbeit von Uemura, Osaka (http://uemura-tosou.com/). Seit 1923 lackiert dieser Familienbetrieb Fahrradrahmen und Teile. Eine absolute Vertrauensadresse für alle Rahmenbauer und Fahrradliebhaber in japan.
Anbauteile sind alle modern und kein Vintage, um technische Zuverläßigkeit gewährzuleisten und evtl. Probleme bei Reparatur/Austausch auszuschliessen. Seitenzugbremsen sind auch deshalb ausgewählt, um die Wartung/Reparatur zu vereinfachen. Pedale mit gummierte Oberfläche ist ein Muß für teure italienische Schuhen mit leichten Ledersohlen.
Radastz, was ich immer wichtig finde, ist aus Grand Bois Nabe hinten, Schmidt Nabeydynamo vorn, seltenen breite Campa Felgen(ach ja, einziges Vintageteil! an diesem Rad) und seidigen Grand Bois Cypres 700x30C, läuft wunderbar rund und geschmeidig.
Gepäckträger wurde so konstruiert, um die Seitentaschen von Ortlieb o.ä. und Korb oben gleichzeitig zu nützen. Für ein schwerer Einkauf wurde ein sicherer Doppelständer von Velo Orange montiert. Ein sehr guter Ständer. Leider etwas schwer, aber das wird nicht sehr stören wegen der Position unten mitte.
Lenkerband aus orientalischem Textil ist Messedeko. Darunter ist Cinelli Jelly Ribbon für das angenehme Greifen gewickelt. Wenn der Textilband irgendwann verschlissen ist, sollte Leder gewickelt werden. Tektro-Bremshebeln habe ich wieder etwas eleganter nach altfranzösischem Muster gefeilt.
Alle Züge sind, soweit es möglich ist, innenverlegt, damit sie der eleganten Dame möglichst nicht stören.
Insgesamt ein mit vielen liebvollen Details angereichertes Damenrad. So etwas trifft man heute absolut selten. Warum immer graue Mäuse? Oder grell und aggressiv schreiende Rennmaschine? Ich meine zwar nicht, daß bunte Farbe mache gleich mehr Lebensfreude. Aber das ist auch eine wichtige Bedeutung des Unikates, was Serienräder aus irgendwelchen Gründen nicht machen können hier möglich ist. Diese Möglichkeit sollte man nützen.
Danke an Inka fürs Modell stehen. Für Dich werde ich auch irgendwann ein Rad bauen.